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Steuerprogression – Welche Auswirkungen gibt es für Arbeitnehmer:innen?

Steuerprogression – Welche Auswirkungen gibt es für Arbeitnehmer:innen?

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Wenn im allgemeinen Sprachgebrauch von „progressiv“ die Rede ist, ist meist sehr positiv „fortschrittlich“ gemeint. Ganz anders jedoch, wenn es um Steuerprogression geht. Da bedeutet progressiv stufenweise ansteigend; also nicht kontinuierlich ansteigend – nicht gleichbleibend. Aber welche Auswirkungen ergeben sich nun ganz genau?

Das Wichtigste in Kürze

  • deutscher Einkommensteuertarif mit 5 Tarifzonen zwischen 0-45 %
  • Grundfreibetrag = Tarifzone 1 (steuerfrei)
  • durchschnittliche Steuerbelastung immer unter 45 %
  • Lohnersatzleistungend.R. mit Progressionsvorbehalt
  • Pflichtveranlagung bei Lohnersatzleistungen i Höhe von über 410 Euro jährlich
  • Zuflussprinzip: Besteuerung erst im Jahr des Erhalts
  • Steuernachzahlungen aufgrund von Lohnersatzleistungen möglich
  • Einzelveranlagung von Ehegatten:innen zum Steuern sparen

 

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Inhaltsverzeichnis


Wie progressiv sind Sie? – Die 5 Tarifzonen

Das deutsche Steuerrecht sieht den sogenannten Grundfreibetrag vor. Dieser beträgt aktuell 10.908 Euro für Ledige und für Verheiratete stets genau das Doppelte, also 21.816 Euro. Wer ein zu versteuerndes Einkommen unterhalb dieses Grundfreibetrages hat, zahlt keine Steuern. So soll das Existenzminimum immer ohne Steuerbelastung bleiben.

Fast jährlich wird dieser Betrag an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst:

  • 2000: 13.499 Deutsche Mark (ca. 6.902 Euro)
  • 2010: 8.004 Euro
  • 2020: 9.408 Euro

Der Grundfreibetrag entspricht übrigens stets der Tarifzone 1 und Steuerbelastung NULL.

Die Steuertabelle steigt dann progressiv – also stufenweise – an und man spricht von insgesamt 5 Tarifzonen. Nun ist es keineswegs so, dass bei geringfügiger Überschreitung des Grundfreibetrags (Tarifzone 1) plötzlich das gesamte Einkommen mit Steuer belastet wird, sondern eben nur der übersteigende Anteil.

In § 32a EstG ist die komplizierte Formel festgelegt – für mathematisch Begabte zum Nachrechnen.

Aufteilung der 5 Tarifzonen (2023):

Tabelle progressiver Steuertarif

Innerhalb der Tarifzonen steigt der Steuersatz linear an, bis der Grenzsteuersatz erreicht ist. Der höchste Steuersatz in Deutschland liegt bei 45 %.

Tatsächlich ist aber die durchschnittliche Steuerbelastung stets weniger, weil durch die Tarifzonen 1-4 die Einkommen bis 277.826 Euro weniger bis gar nicht besteuert werden (Grundfreibetrag).

Reichenbeispiele zur Veranschaulichung:

Tabelle durchschnittliche Steuerbelastung

Hinweis: Hinzu kommen natürlich ggf. die Kirchensteuer und in Ausnahmefällen der Solidaritätszuschlag.

Mythos oder Wahrheit – Weniger Geld trotz mehr Verdienst?

Das Gerücht ist hartnäckig. Bloß keine Überstunden auszahlen lassen – am Ende bleibt weniger im Portemonnaie. Wegen einer kleinen Lohnerhöhung rutschen Arbeitnehmer:innen plötzlich in eine andere Besteuerungsstufe und haben am Ende weniger Geld in der Tasche.

Auflösung: Es ist wirklich nur ein Gerücht vermutlich beruhend auf dem Missverständnis der Steuerprogression.

Tatsächlich steigt zwar die Steuerbelastung an, aber doch sehr moderat und letztlich ist der durchschnittliche Steuersatz ausschlaggebend (s.o.).

Auch wenn in einzelnen Monaten die Einkommen schwanken – mit der jährlichen Steuererklärung wird alles zusammengerechnet und das tatsächliche, zu versteuernde Einkommen (zvE) ermittelt. Erst darauf wird dann die Steuertabelle angewendet und eventuell unterjährig zu viel bezahlte Steuern werden selbstverständlich erstattet.

Progressionsvorbehalt – aus Kür wird Pflicht

In § 32b EstG regelt der Gesetzgeber Leistungen unter Progressionsvorbehalt. Davon betroffen sind unter anderem die sogenannten Lohnersatzleistungen. Dazu zählt beispielsweise:

  • Arbeitslosengeld
  • Insolvenzgeld
  • Infektionsschutzgeld
  • Kurzarbeitergeld
  • Krankengeld
  • Übergangsgeld
  • Mutterschaftsgeld
  • Elterngeld

Diese Leistungen werden – wie der Name es schon sagt – als Ersatz für Lohn bezahlt. Berechnet werden diese Leistungen nach dem Netto-Lohn und auch netto, ohne Abzug von Steuern, ausgezahlt.

Beispielsweise beträgt das Krankengeld 70-80 % Ihres Netto-Arbeitslohnes. Für diese Leistungen wurden bisher keine Steuern bezahlt und sie bleiben auch weiterhin steuerfrei. Allerdings unterliegen sie dem Progressionsvorbehalt; darauf weisen die auszahlenden Stellen (Arbeitsamt, Krankenkasse, Elterngeldstelle…) hin.

Abgesehen davon, dass diese Gelder nicht dem vollen Netto-Lohn entsprechen, führen diese Zahlungen auch zur Pflichtveranlagung bei der Einkommenssteuer sofern sie höher als 410 € jährlich sind. Aus der freiwilligen Abgabe der Steuer wird ein Muss-, eben weil diese Leistungen dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

Hinweis: Arbeitslosengeld II, Hartz IV bzw. Bürgergeld und ähnliche Leistungen unterliegen NICHT dem Progressionsvorbehalt und führen auch nicht zu Pflichtveranlagungen.

Steuernachzahlungen bei Leistungen mit Progressionsvorbehalt?

Die Antwort ist ganz einfach „Jein“ – wie immer: Es kommt darauf an.

Der Gesetzgeber sieht vor, dass die steuerfreien Lohnersatz-Leistungen, die jedoch unter Progressionsvorbehalt sind, dem tatsächlichen Einkommen hinzugerechnet werden. Dann wird abgelesen wie hoch die Steuerbelastung in % mit diesen Leistungen wäre. Dieser Steuersatz wird dann entsprechend auf das tatsächliche Einkommen (ohne die Lohnersatzleistungen) angewendet.

Wer also ganzjährig ausschließlich Lohnersatzleistungen wie etwa Krankengeld, Elterngeld erhalten hat, muss sich keine Sorgen machen. Es hat keine steuerlichen Auswirkungen, denn es gibt ja keinen Lohn, der zu addieren wäre, vorausgesetzt es handelt sich um eine Einzelveranlagung.

Bei der gemeinsamen Veranlagung von Ehegatten:innen kann das schon ganz anderes aussehen und zu erheblichen Nachzahlungen kommen. Möglicherweise ist sogar die Einzelveranlagung von Ehegatten:innen in diesem Jahr ratsam.

Wichtige Infos zu diesem Thema finden Sie in unserem Blogbeitrag: „Zusammenveranlagung oder Einzelveranlagung? So können Sie entscheiden!“

Übrigens: Es gilt das strenge Zuflussprinzip. Die Leistungen werden stets in dem Kalenderjahr hinzugerechnet, in dem sie auch bezahlt wurden, also Ihnen zufließen.

Wer also beispielsweise im Dezember nach mehr als 6 Wochen Lohnfortzahlung ins Krankengeld rutscht, muss oft warten, bis die Krankenkasse im Januar des Folgejahres das Krankengeld berechnet und auszahlt. Diese Beträge gehören dann auch erst in die Steuererklärung des Folgejahres.

So rechnet das Finanzamt

Im Steuerbescheid steht meist ganz hinten unter den Erläuterungen der Hinweis auf die Höhe der berücksichtigten Progressionsleistungen. In der Regel steht die Berechnung des zu versteuernden Einkommens vorn auf den ersten Seiten. Darunter dann die Berechnung der Einkommensteuer mit dem Hinweis, dass nach Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts der Steuersatz von xx % auf das zu versteuernde Eikommen von xx Euro angewendet wird.

Ein Praxisbeispiel:

Der steuerpflichtige Angestellte Moritz Maier (Einzelveranlagung) war etwa 3 Monate arbeitsunfähig krank und hat Mitte des Jahres Krankengeld in Höhe von 4.050 Euro bezogen, dazu bekam er außerdem 1.339 Euro Kurzarbeitergeld. Nach Abzug aller berücksichtigungsfähigen Ausgaben betrug sein zu versteuerndes Einkommen 42.602 Euro zuzüglich 5.389 Euro Leistungen unter Progressionsvorbehalt (= 1.339 € + 4.050 €).

Der angewendete Steuersatz betrug 23,68 % auf die 42.602 Euro er zahlte somit 10.089 Euro tarifliche Steuer.

Ohne die Berücksichtigung der Progressionsleistungen wäre der Steuersatz von 22 % auf die 42.602 Euro anzuwenden gewesen. Die tarifliche Steuer hätte dann mit 9.373 Euro zu Buche geschlagen. Also tatsächlich ein sehr deutlicher Unterschied von immerhin über 700 Euro.

Mitunter wird von den Lohnersatzleistungen noch die Werbungskostenpauschale von nunmehr 1.20 Euro gegebenenfalls anteilig in Abzug gebracht. Die Pauschale ist abzuziehen, wenn sie bei den Einkünften aus Nichtselbständiger Tätigkeit nicht oder nicht vollständig berücksichtigt werden konnte.


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Quellenangaben:


Beitragsbild © contrastwerkstatt – stock.adobe.com

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Gabriele Waldau-Cheema

Als langjährige Beratungsstellenleiterin unseres Lohnsteuerhilfevereins und erfolgreiche Buchautorin ist Gabriele Waldau-Cheema eine gefragte Steuerexpertin für Zeitung, Funk und Fernsehen. Mit über 50 Jahren Berufserfahrung in vielfältigen Bereichen hat sie das Steuerrecht bestens im Blick und hält sich auch weiterhin mit vielen Fortbildungen auf dem aktuellsten Stand der Rechtslage. Inzwischen hat sie die Betreuung der Mitglieder zum größten Teil in die Hände der "jüngeren Generation" gegeben. Sie selbst widmet sich umso intensiver ihrer Autorinnen- und Vortragstätigkeit. Für die Verbraucherzentrale hat sie bereits zahlreiche Steuer-Ratgeber geschrieben. Ihre Fähigkeit steuerliche Sachverhalte einfach und verständlich zu erklären, setzt sie ebenso als Autorin unseres Steuerblogs ein.